Michaela Unterdörfer

im Gespräch mit Michaela Melián

Es ist jetzt 25 Jahre her, dass Gustav Metzgers Ausstellung Ein Schnitt entlang der Zeit in der Kunsthalle Nürnberg stattfand. Das Projekt entstand in Zusammenarbeit mit dem Museum of Modern Art Oxford. Der Vorschlag kam von dem Kurator Hans Ulrich Obrist, der Metzger über viele Jahre begleitet und zahlreiche Gespräche mit ihm geführt hat. Obrist wusste von Metzgers Herkunft aus Nürnberg. Er trat an die damalige Leiterin der Kunsthalle Nürnberg, Ellen Seifermann, heran und schlug die Zusammenarbeit mit Oxford vor.

1999 war Gustav Metzger bereits 73 Jahre alt und kam zum ersten Mal nach seiner Flucht 1939 wieder nach Nürnberg. Es war ihm wichtig, dass die Ausstellung in Oxford in Nürnberg nicht einfach übernommen wurde. Das Konzept entwickelte er für den Ort neu. Er hatte sich ausführlich mit der Kunsthalle beschäftigt und dann entschieden, welche älteren Arbeiten er installieren und was er vor Ort neu produzieren wollte. Es war ihm von Anfang an wichtig, mit der Stadt, in der er seine Kindheit verbracht hat, wieder in Kontakt zu treten.

Das schwarz/weiß Porträt zeigt den 72-jährigen Gustav Metzger an einem Tisch vor einer weißen Wand sitzend.
Gustav Metzger in der Kunsthalle Nürnberg während seiner Ausstellung Ein Schnitt entlang der Zeit, Nürnberg 1999, Foto: Michaela Unterdörfer

 

Mich hat die Intensität fasziniert, die er ausgestrahlt und mit der er alles unternommen hat. Er kam für mehrere Wochen nach Nürnberg, um die Ausstellung vorzubereiten und einzurichten, und hat dann seinen Aufenthalt über die Eröffnung hinaus immer wieder verlängert. Das war für uns vollkommen neu. Üblicherweise reisen die Künstler:innen nach der Ausstellungseröffnung ab – manchmal kommen sie zu einem Gespräch zurück. Für ihn aber war die Arbeit nicht mit der Eröffnung abgeschlossen, er nahm die Ausstellung zum Ort und Anlass, um mit den Besucher:innen ins Gespräch zu kommen. Er hat dort praktisch gelebt – den ganzen Tag in der Kunsthalle verbracht und an den Installationen weitergearbeitet.

Ich weiß nicht mehr, wie lange er tatsächlich geblieben ist. Wir hatten während der Aufbauzeit eine Wohnung für ihn gemietet und mussten bei der Finanzbuchhaltung weiteres Budget beantragen, damit wir seinen Mietvertrag verlängern konnten. Er fuhr öfter nach München, wo er verschiedene Arbeiten im Rahmen der Ausstellung Dreamcity durchführte, etwa die Aktion Travertin/Judenpech am Haus der Kunst und die Installation einer der Historic Photographs im Kunstverein München.

Er war kein Künstler, der in der Vergangenheit gefangen war. Er wollte nicht als jüdischer, aus Nürnberg geflüchteter Künstler wahrgenommen werden, dessen Familie im Holocaust umgebracht worden war. Sein Interesse galt der Gegenwart, er war seiner Zeit voraus und griff in Manifesten, Aktionen und Werken Themen auf, die uns heute noch beschäftigen. Er war der Welt und der Gegenwart zugewandt. Natürlich war seine persönliche Geschichte ein Teil von ihm, sie war aber nicht sein vorrangiges Thema. Die Geschichte Nürnbergs im Nationalsozialismus blieb für ihn immer virulent, ebenso die zahllosen Konflikte in der Welt – das Zerstörerische, die Grausamkeit der Menschen, die er in seinen Werken aufgezeigt und in einen größeren Zusammenhang gebracht hat.

Ich erinnere mich nicht, ob er damals das Reichsparteitagsgelände besucht hat. Wir haben Spaziergänge durch die Stadt gemacht, zum Beispiel nach Gostenhof. In seiner Kindheit war es ein sogenanntes Glasscherbenviertel mit einem hohen Anteil an jüdischer Bevölkerung. In der Fürther Straße, in der sein Elternhaus lag, waren wir auch einmal essen. Die Gegend hatte sich zu einer Art Szeneviertel gewandelt und deckte sich wohl kaum noch mit seinen Kindheitserinnerungen.

Gustav Metzger hatte in den 1990er Jahren kein Telefon. Man erreichte ihn nur an öffentlichen Fernsprechern, etwa in einer U-Bahn-Station in London. Wir haben uns also zum Telefonieren verabredet. Er gab die Nummer des öffentlichen Fernsprechers durch und wartete dort auf den Rückruf. Für die Planung der Ausstellung war das etwas ungewöhnlich, aber es hat gut funktioniert, weil er sehr zuverlässig und entschieden war. Er hat sicher mit vielen Menschen auf diese Weise Kontakt gehalten. Metzger war immer unterwegs, mit Taschen und Tüten voller Bücher, Zeitungen und Zeitschriften. Er verbrachte seine Zeit hauptsächlich in Cafés und Museen. Dort hat er sich auch verabredet. Wo er wohnte, wussten wohl die wenigsten.

 

Gespräch der Künstlerin Michaela Melián mit Michaela Unterdörfer, Kuratorin der Nürnberger Ausstellung Ein Schnitt entlang der Zeit, 1999, 27. Juni 2024