Justin Hoffmann

im Gespräch mit Michaela Melián

Meines Wissens hat Gustav Metzger die Arbeit Hitler-Youth, Eingeschweißt zum ersten Mal für seine Einzelausstellung 1997 im Kunstraum München realisiert. (1) Sie ist Teil der Serie Historic Photographs, bei der Metzger Fotografien, meistens Kriegs- oder Faschismussituationen, verdeckt. Hitler-Youth, Eingeschweißt war eine der ersten Arbeiten aus dieser Serie, vielleicht sogar die erste. Es ist die einzige Arbeit, bei der ein Foto eingeschweißt wurde.

Ein Foto, an die Wand gelehnt, zeigt Adolf Hitler vor einer Menge junger Männer in Uniform mit Hitlergruß.

Zwei Männer, in Rückenansicht zu sehen, bereiten das aufgezogene Foto für die Performance vor.

Im Ausstellungsraum sind zwei Männer mit dem Verschweißen der Arbeit beschäftigt.
Fotodokumentation der Installation von Gustav Metzger, Historic Photographs: Hitler-Youth, Eingeschweißt, 1997 im Kunstraum München, Fotos: Pia Lanzinger

 

Ich bin damals zur Vorbereitung der Ausstellung Gustav Metzger dreimal von München nach London geflogen und habe ihn dort mehrfach zu ausführlichen Gesprächen getroffen. Schon bei unserem ersten Treffen 1995 plante er dieses Projekt für die Ausstellung. Am 19. August 1997, knapp einen Monat vor der Eröffnung, hat er mir ein Fax mit genauen Anleitungen für die Arbeiten geschickt, die er bei dieser ersten Retrospektive in Deutschland zeigen wollte.

Eines der auf dem Fax beschriebenen Werke ist Historic Photographs: Hitler-Youth, Eingeschweißt, zu dem er mit Schreibmaschine Folgendes angemerkt hat: This is a proposal for a work in the series Historic Photographs. A photo of H. at the Nürnberg Rally (I do not at present have the date) in front of 200 uniformed people. The plan is to put this onto a steel or iron sheet. Another sheet of exactly the same size and material is then in front, and the two sheets are welded together all round the edges. The sheets are 1 m, 80 cm wide, the height is less. As we discussed, the two pieces could be welded at the opening of the show. The people in front will need cheap dark spectacles. (2)

Es ist das einzige Mal, dass er diese Aktion als öffentliche Performance geplant hat – und genau so haben wir sie bei der Eröffnung durchgeführt. Er hatte dabei auch an die Besucher:innen der Vernissage gedacht. Sie sollten dunkle Schutzbrillen ausgehändigt bekommen.

Auf dem Fax ist zudem eine handschriftliche Notiz: The project is going forward: Have just talked with Roland Seiler and will ring again at 3 pm on Friday. Er hat also extra Telefonate mit dem Schweißer geführt. Roland Seiler war der Leiter der Metallwerkstatt der Akademie der Bildenden Künste München und wurde von Gustav Metzger persönlich für die Schweißarbeit instruiert.

Ich glaube, dass er das Foto in einem historischen Buch über das nationalsozialistische Deutschland in einem Londoner Archiv gefunden hat. Ob es sich dabei um einen von ihm festgelegten Ausschnitt handelt, weiß ich nicht. Das Negativ hat er mir per Post geschickt. Die Größe der Arbeit habe ich damals von ihm als Setzung übernommen, vermutlich leitete sie sich auch von der Verfügbarkeit größerer Stahlplatten ab. Ihm war vor allem wichtig, dass die Plattengröße das Seitenverhältnis der Fotografie reproduziert – und er wollte die Arbeit möglichst groß haben. Die zusammengeschweißten Platten stehen auf dem Boden, an die Wand gelehnt. Wie ein Bild, das ein enormes Gewicht hat und allein schon durch seine Materialität Eindruck macht. Es brauchte immer mehrere Leute, um die Arbeit zu bewegen.

Die Kommunikationswege waren damals so, dass ich entweder zu ihm nach London fuhr oder wir telefonierten. Zudem hat er lange Erläuterungen und Briefe gefaxt. Für die Ausstellung gab es eine riesige Telefon- und Faxkostenrechnung, um die 700 DM. Einige Sachen hat er mir auch mit der Post zugeschickt.

Diese Ausstellung in München war seine erste institutionelle Einzelausstellung in Deutschland. Kleinere Ausstellungen in London, zum Beispiel in einer Buchhandlung, hatte er schon früher. Zur Eröffnung kam Astrid Bowron vom Museum of Modern Art in Oxford und ein Jahr später gab es dann dort eine Ausstellung.

Die Ausstellung im Kunstraum zeigte viele Entwurfsmodelle. Teilweise gab es die Arbeiten und er hat sie uns mit der Post geschickt. Die Modelle dienten der Visualisierung seiner Ideen, zur Verwirklichung kam es nicht immer. Einige Modelle wurden in München zum ersten Mal realisiert. Dazu zählt auch Historic Photographs: Hitler-Youth, Eingeschweißt. Die Platte steht bis heute im Archiv des Kunstraum München, Metzger wollte sie nicht nach London zurücktransportieren. Die Arbeit wurde in gleicher Größe später noch einmal realisiert und unter anderem 2005 in der umfassenden Ausstellung Gustav Metzger, Geschichte Geschichte in der Generali Foundation in Wien gezeigt.

Als er mir am 19. August 1997 das Fax schickte, plante er noch, für die Einrichtung und die Eröffnung der Ausstellung nach München zu kommen. Bei der Ausstellungseröffnung am 11. September sollte dann die Schweißaktion Hitler-Youth, Eingeschweißt öffentlich stattfinden. Es gab aber internationale Berichte über den Aufmarsch von 5000 Neonazis in München anlässlich der Wehrmachtsausstellung. Nachhaltig erschreckt von diesen Berichten, sagte er kurzfristig seine Reise nach München ab. Er hat seine Ausstellung selbst deshalb leider nicht gesehen. Was in Deutschland passierte, was diskutiert wurde, hat ihn immer sehr interessiert. Deshalb wusste er auch von diesem größten Neonazi-Aufmarsch seit 1945.

Der Fokus bei meinen ersten Interviews, die ich 1989 mit ihm geführt habe, lag auf meinem Dissertationsthema Destruktionskunst. (3) Ich habe ihn 1989 zu den Interviews in Darmstadt getroffen, wo er in den Archiven zu Fluxus geforscht hat. Wir haben Deutsch gesprochen und man hörte, dass Gustav Metzger akzentfrei sprach und wie gedruckt formulierte. Es war sehr beeindruckend, dass er Deutsch nicht verlernt hatte, obwohl er mit zwölf Jahren aufgrund der Verfolgung durch die Nationalsozialisten das Land verlassen musste. Er hat mir gegenüber nie andere deutschsprachige Kontakte in London erwähnt. So bleibt als deutscher Gesprächspartner nur sein Bruder Mendel, der mit ihm im Januar 1939 mit einem der Kindertransporte nach London kam. Später war Gustav Metzger zwar immer wieder in Deutschland, aber nicht in Nürnberg oder München.

(1)
Für weitere Informationen zu den Ausstellungen Gustav Metzger (11.09.–15.11.1997) bzw. Gustav Metzger Revisited (27.01.–06.03.2022) im Kunstraum München siehe https://digitalisate.kunstraum-muenchen.de/artefakt/80Gustav Metzger 1997 bzw. https://artviewer.org/gustav-metzger-at-kunstraum-munchen/ [Stand: 20.06.2025].

(2)
Deutsche Übersetzung: Das ist ein Vorschlag für eine Arbeit für die Serie Historic Photographs. Ein Foto von H. auf dem Nürnberger Reichsparteitag (das Datum habe ich gerade nicht) vor 200 Leuten in Uniform. Geplant ist, dieses Foto auf einem Stahl- oder Eisenblech zu befestigen. Dann kommt ein weiteres Blech in genau derselben Größe und aus demselben Material davor, und die beiden Bleche werden anschließend rundherum an den Kanten zusammengeschweißt. Die Bleche sind 180 cm breit, die Höhe ist geringer. Wie wir besprochen haben, könnte die Schweißaktion bei der Eröffnung der Ausstellung stattfinden. Die Zuschauer sollten dabei eine einfache dunkle Schutzbrille tragen.

(3)
Justin Hoffmann, Destruktionskunst. Der Zerstörungsmythos in der Kunst der frühen sechziger Jahre, München 1995

 

Gespräch der Künstlerin Michaela Melián mit Justin Hoffmann, Kurator der Münchner Ausstellung Gustav Metzger, 1997, 18. Januar 2024