Gustav Metzger über Nürnberg
Gustav Metzger im Gespräch mit Hans Ulrich Obrist
Eine meiner frühesten Erinnerungen stammt aus meiner Kindheit in Nürnberg. Wir wohnten in einem Haus in der Fürther Straße, einer großen, geraden Straße, die Nürnberg mit Fürth verbindet. Unser Haus lag am Anfang dieser Straße, Fürther Straße 37. Vor unserem Haus hatten wir einen großen Hof.
Eines Tages ging ich in den Hof und auf die Straße und schloss mich einer marschierenden Gruppe vorbeimarschierender Menschen an. Es handelte sich um eine politische Demonstration – ich glaube, eher links als rechts. Das war vor 1933. Ich denke, das war mein erster Auftritt in der Politik. Meine Eltern machten sich große Sorgen – sie holten mich so schnell wie möglich wieder nach Hause, und ich bekam mehrere Tage Hausarrest.
Ich wuchs in einem orthodox-jüdischen Umfeld auf, sodass es in meiner Jugend in Nürnberg, einem Ort voller Kirchen und Kathedralen, für mich zu einem faszinierenden Konflikt zwischen Kunst und dem jüdischen Beharren auf dem Bilderverbot kam. Dies steht im Mittelpunkt meiner Arbeit: einerseits die Öffnung zur Welt und andererseits die Abschottung vor ihr.
Die Arbeiten in den Historic Photographs sind persönlich, aber sie bieten auch Menschen, jedem Einzelnen, die Möglichkeit, sich mit ihrem Leben auseinanderzusetzen – mit Unsicherheit, dem Unbekannten, dem Bewusstsein für eine wachsende Zahl von Risiken, Gefühlen der Hilflosigkeit und der Unfähigkeit, Antworten auf große gesellschaftliche Fragen zu finden.
Gustav Metzger: Interviews with Hans-Ulrich Obrist, herausgegeben von Karen Marta, Hauser & Wirth Publikationen, Zürich 2024
Gustav Metzger im Gespräch mit Ken McMullen
Wir wohnten in der längsten Straße Nürnbergs, der Fürther Straße, und dort konnte man nach links gehen und überall SA- und SS-Blöcke sehen, jedes Jahr. Und dann habe ich mich manchmal zu der eigentlichen Kundgebung gewagt. Ich habe sie gesehen, Kundgebungen mit Zehntausenden.
Und so hatte die Kraft der visuellen Darstellung einen sehr tiefen Eindruck auf mich – und mich auch weiterhin beeindruckt, als ich nach England kam. Und ich erinnerte mich daran, ich kehrte in meinen Gedanken immer wieder zu all dem zurück.
Die Kindheitserfahrungen setzten sich Jahr für Jahr fort. Bevor der Krieg begann, las ich Zeitungen über Nazi-Deutschland und sah Bilder von Hitler und so weiter. Und im Radio wurde endlos über Hitler gesprochen, und während des Krieges wurde endlos über Hitler gesprochen, endlos über die Nazis. In meinem Kopf habe ich diesen Teil also immer wieder erlebt. Und als der Krieg vorbei war, war Deutschland immer noch in den Schlagzeilen. Und die Reparationen und Kriegsprozesse und so weiter und so fort. Deutschland war also ständig in meinen Gedanken, bis zum heutigen Tag.
Der Einfluss der Nazis auf mich als Kind hält bis heute an. Die Problematik, die Diskussion, die Fragen, die Schwierigkeiten, die damit verbunden sind, bleiben ein Leben lang bestehen. Bis zu unserem Tod werden wir Juden mit all dem zu tun haben. Und sicherlich war die Erfahrung in Nürnberg sehr prägend für mein ganzes Leben und für meine Kunst. Die Kraft dieser Erfahrung blieb mir erhalten und beeinflusste die Art und Weise, wie ich die autodestruktive Kunst formulierte.
Ken McMullen, Pioneers in Art and Science: Gustav Metzger, Arts Council England 2004
Gustav Metzger im Gespräch mit Cora Piantoni
Ich hatte ein Bild gesehen, das mich zutiefst erschütterte. Das ist ein Bild, eine Fotografie, wo Hitler vorbeifährt… nicht läuft. Er ist in seinem gepanzerten Wagen und hat seine rechte Hand ausgestreckt. Vor ihm stehen Hunderte von Jünglingen, junge Menschen, die ihn anbeten. Das Bild hat mich sehr erschüttert. Als ich zur Ausführung der Historic Photographs kam, war das eines der stärksten Bilder, die ich je hatte.
Die Abbildung wurde dann auf ein Stück Metall gelegt, eine Stahlplatte glaube ich, und eine andere Stahlplatte wurde draufgelegt und dann eingeschweisst, richtig eingeschweisst, dass das Bild nie mehr rauskommen konnte. Man kann sagen: dass Hitler nie mehr rauskommt durch dieses Gewicht, das Schwere.
Ich bin [2006] auf das Reichparteitagsgelände [in Nürnberg] gegangen, mit den normalen Verkehrsmitteln. Ich habe lange Zeit in dieser Umgebung verbracht. Ich hatte gehört, daß man dort ein historisches Zentrum gebaut hat und wollte das gerne sehen.
Ein schwieriges Erlebnis. Immer, wenn ich mit Nationalsozialismus zusammenkomme, irgendwo, irgendwie, ist es schwierig. Manchmal sehr schwierig. Schwierig, aber wichtig, das zu tun. Und das ist ein zentraler Spruch über mein ganzes Verhältnis zu Deutschland, vor der Nazi-Periode oder während oder danach.
Cora Piantoni, Abriss. Wir haben viel erlebt: Gustav Metzger, Kunstraum München 2016